Suzhou – Stadt der Seide

Wirtschaftsspionage ist keine Erfindung der Neuzeit: Mehr als dreitausend Jahre wachte das chinesische Kaiserreich strikt über das Geheimnis der Seidenherstellung, dann gelang es persischen Spionen…

Bild…im sechsten Jahrhundert, einige Kokons außer Landes zu schmuggeln. Heute geben sich die chinesischen Seidenhersteller in Sachen Betriebsgeheimnis lockerer: Der Besuch einer Seidenfabrik lässt sich in Suzhou problemlos arrangieren.

Auf den ersten Blick sehen sie, ehrlich gesagt, ziemlich unspektakulär aus: Die kleinen weißen Kokons der Seidenspinner sind gerademal Daumen-groß und fassen sich ein wenig gummiartig an. Andächtig reichen sich die Touristen einer deutschen Reisegruppe bei der Besichtigung der Suzhou Silk Factory No 1 die Kokons durch die Reihen – und daraus soll der federleichte Stoff entstehen? Dass jeder von ihnen aus einem rund 4000 Meter langen, feinsten Faden besteht, sieht man ihnen nicht an. Genauso wenig wie die harte Arbeit der Seidenbauern, die dahintersteckt: Seidenraupen sind wählerisch und kulinarisch höchst einseitig orientiert. Allein die Blätter des Maulbeerbaums dürfen auf dem Speiseplan der Bombyx mori stehen, möglichst zart und frisch, kleingehackt und nie zu viele auf einmal. Allein um das Material für ein Kilo Rohseide zu erwirtschaften, sind 220 Kilo Maulbeerbaumblätter nötig. Sechs Wochen brauchen die Raupen, um sich je durch zirka 40 Gramm Blätter zu fressen und schließlich als 3-4 cm großer Kokon zu enden. Sobald die Verspinnung beendet ist, ist auch ihr Schicksal besiegelt. Über heißem Dampf wird der Kokon samt Bewohner versandfertig gemacht – das heißt abgetötet – und kommt in die Fabrik.

Nur nicht den Faden verlieren
Doch wie bitte wird aus dem Kokon ein verwebbares Material? Frau Li, Guide der der Suzhouer Seidenfabrik No. 1, zeigt bei der Führung durch die Hallen der Seidenfabrik, wie’s geht: Mit einer geübten Geste versenkt sie eine Handvoll Kokons in siedendem Wasser. Nach wenigen Runden im Becken löst sich der Anfang der Fäden. Blitzschnell fügt sie zehn davon zusammen. Verklebt durch den Seiden-eigenen Wirkstoff Serizin, wird der daraus entstandene Faden nun so oft mit weiteren Fäden kombiniert, bis er die gewünschte Stärke erreicht hat. Bis zu fünf Kilo Seidenfaden stellt eine Arbeiterin, mit viel Dampf und Maschinengeklapper, pro Arbeitstag her – ein Ergebnis von dem im Alten China sicher niemand zu träumen wagte: Manuell nahm das sogenannte „Reeling“ einiger weniger Kokons mehrere Tage in Anspruch.
Diese „Rohseide“ wird nun auf Spulen gezogen und ist damit fertig für den nächsten Arbeitsgang: Um die richtige Festigkeit zu erreichen, müssen ein letztes Mal Fäden miteinander verdreht werde. Spätesten jetzt entscheidet sich, welche Art von Seide schließlich aus dem Faden gewebt werden soll: Bestimmte Effekte lassen sich durch die Anzahl und Intensität der Fadendrehungen erzielen: Crêpe beispielsweise erhält seinen edlen Knitter-Look durch eine Kombination von in verschiede Richtungen gedrehter Fäden.
Sobald das Material gewoben wurde, hat das klebrige Serizin seine Schuldigkeit getan: Im alkalischen Bad wird die gummiartige Substanz entfernt. Erst jetzt bekommt die Seide ihren charakteristischen Glanz und verliert bis zu einem Drittel Gewicht.

Schlafen wie auf Wolken
Die Produkte, die aus dieser Seide entstehen, sind überall in der Stadt zu finden: Feinste Blusen, Hemden, Schals, Wäsche, aber auch Tischdecken und -läufer warten in den Boutiquen und Souvenirshops zu Outlet-Preisen. Sogar schlafen kann man in der Seide, denn die zur Stoffherstellung nicht geeigneten Zwillings-Kokons werden manuell ausgebreitet und zur Herstellung von luftig-leichter Bettfüllung verwendet. Nicht einmal ein Kilo bringt eine Standard-Einzeldecke auf die Waage und hält doch so warm wie ein dickes Daunenbett. Kein Wunder, dass nach intensivem Probeliegen fast alle Besucher am Ende der Tour durch die Seidenfabrik mit dem kleinen Plastikköfferchen vor der Tür stehen, das die verführerische Bettdecke auf dem Transport nach Europa schützen soll.

Luxus mit Geschichte
Dass gerade in Suzhou das Thema Seide so allgegenwärtig ist, hat natürlich einen guten Grund: Ab dem dritten Jahrtausend vor unserer Zeitrechnung verbreitete sich die Seide aus der Region um Suzhou aus in ganz China. Schnell wurde das zarte Gewebe zum Symbol für Luxus schlechthin – unbezahlbar für die Massen, ein Muss aber für die Elite, die das leichte Gewebe besonders in den heißen Sommermonaten zu schätzen wusste. Und die Kunde vom edlen Stoff sprach sich herum: Schon während der Han-Dynastie, um das 2. Jahrhundert v. Chr., war ein derart reger Ost-West Handel entstanden, dass dessen Karawanen-Routen bald unter dem Namen Seidenstraße bekannt wurden.
Mehr als zwei Drittel der weltweit produzierten Seide stammen übrigens auch heute noch aus dem Reich der Mitte – und das obwohl sich über dreißig Länder, darunter sogar Frankreich und einige lateinamerikanische Staaten, heute in der Seidenspinnerei üben. Seit 2009 stehen die die chinesische Seidenraupenzucht und die Seidenhandwerkskunst sogar auf der UNESCO-Liste des Immateriellen Kulturerbes der Menschheit. Wer sich zuhause ins Seidenbett legt, mag es sofort glauben.

Führungen gibt es von 8-17 Uhr in der Suzhou Silk Factory No. 1 (der größten Chinas!), Adresse: 94 Nanmen Lu ???94?, 215007 Suzhou, Tel: 0512-65613733, der Eintritt ist gratis.

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Frau Rong Lu
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